Atelier

Die Bandbreite der Künstlerin reicht von Zeichnungen mit Bleistift, Rötelstift, Kreide, Kohle und Tusche über Holzschnitte bis zu Gemälden mit Pastellkreiden und Ölfarben – zum Teil in großen Formaten.
Gudrun J. Gottsteins Bilder lösen beim Betrachter nicht selten ein Gefühl von Unverwandtheit, ja Befremden aus. Viele Motive wirken auf den ersten Blick vertraut. Kurze Begegnungen – das was im Alltag oder auf Reisen „passiert“ bildet die Künstlerin ab. Aber der kraftvolle und zum Teil grobe Pinselduktus ihrer Ölbilder relativiert das Detail und betont das Wesentliche der Körperhaltungen sowie-bewegungen. Schatten werden von der Künstlerin bewusst verstärkt oder weggelassen. Den Figuren erlaubt sie damit, zu schweben oder ein anderes Mal erdenschwer zu sein. Oft finden sich selbst in den Ölgemälden zeichnerische Bestandteile, die Linie in der Kontur wird zum selbständigen Stilmittel. Die Perspektive wird raffiniert geführt, spielt mit Vorder- und Hintergrund, macht Nebensachen zur Hauptsache und umgekehrt.
In ihren Federzeichnungen schraffiert sie zur Umsetzung ihrer Bildideen mit meist langen Strichen ihre Motive oder lässt die Linie in schwungvollen Bögen zum Motiv finden und schafft so ein rhythmisches und lebendiges Bild.

Kopf Hoch!

Sich nach oben zu kämpfen und dann über allem und allen stehen zu wollen ist ein Symptom einer pervertiert-leistungsorientierten Gesellschaft. Darin gehören Egoismus und Egozentrik ebenso dazu wie das Ausnutzen anderer Individuen, um schnell „nach Oben“ zu gelangen. Die Mitmenschen werden dabei ein reines Mittel zum Zweck oder zu Konkurrenten, die man bekämpfen muss. Eine Tanzszene spiegelt dieses rücksichtslose Streben auf Kosten anderer: „Kopf hoch!“ ist die Ansage einer Gesellschaft, in der man zu mehr Aggressivität, offensivem Verhalten und zu mehr Extrovertiertheit in der Schule, im Beruf, oder im Sport ermutigt wird. Und wer den Kopf nicht hoch bekommt, wird irgendwann zwangsläufig „unter die Räder“ kommen…

Gudrun J. Gottsteins Interpretation des Ausstellungsmottos "Kopf hoch"
Gudrun J. Gottsteins Interpretation des Ausstellungsmottos „Kopf hoch“

Bildbetrachtungen von Truls R. Schmidt

Tänzerinnen vor dem Auftritt

Vor dem Auftritt
Tänzerinnen vor dem Auftritt

Was auf den ersten Blick eine Jazztanzgruppe vor dem Auftritt anmutet, die auf einer Treppe für ein Foto posiert, wird bei längerem Betrachten zu einer aufgeregten, ja zitternden Gruppe. Das Farbspektrum von Türkis zu Orange und dunklen Tönen lässt Wärme als Menschliches in einer kalten Umgebung erahnen. Gleichzeitig haben die Tänzerinnen durch ihr Posieren fast schon etwas Roboterhaftes, womit die Künstlerin das „Funktionieren“ zum Bildthema macht. Die leichte Konturierung und das Durchscheinen der Zeichnung versammeln das inwendig flirrende Aufgeregt Sein, konzentrieren es auf die Farbflächen der Tänzerinnen, spiegeln Emotionen in jeder Linie des Bildes wieder. Gudrun J. Gottstein schafft hier durch Reduktion, Linie und Farbigkeit ein intensives, empathisches Erleben des Motivs.

Picknick am Main

Picknick am Main
Picknick am Main

Dieses Bild zeigt eine Gruppe junger Männer beim Picknick am Main in Frankfurt.
Die dominierenden Farben sind eher kühle Blau- und Grüntöne.
Die Männer tragen dicke Jacken, offensichtlich ist es für ein Picknick noch zu frisch. Der Mann rechts im Vordergrund ist nur in einer den Bildaufbau beherrschenden Rückenansicht zu sehen, die immer wieder das Auge des Betrachters im rechten vorderen Bildteil festhält.

Über den Mann mit der schwarzen Jacke, der konzentriert etwas betrachtet, das er in seiner Hand hält, wird der Blick zur zentralen Gestalt des Bildes gelenkt, dem Mann, der in die Ferne sieht, weg von der Gruppe. Man folgt ganz unbewusst seinem Blick und möchte das Geheimnis der Schemen im Hintergrund lüften.
Trotz der deutlichen Linearperspektive gelingt Gudrun J. Gottstein hier ein ständiges Kippen zwischen Vorder- und Hintergrund und damit die Erzeugung von Unsicherheit über das tatsächlich Gesehene.

Die rosa Frau

Die rosa Frau
Die rosa Frau

Die rosa Frau am Strand von Mamallapuram in Südindien befindet sich ebenfalls im Hintergrund des Bildes. Sie steht mit dem Rücken zum Betrachter im seichten Wasser des Ozeans, die Füße im Sand. Das rosa Kleid wird auf dem nassen Sand reflektiert. Fast traumwandlerisch passiert ein Reiter, den Vordergrund des Bildes dominierend.
Die rosaschimmerige Farbigkeit erzeugt hier eine heitere, entspannte und sorglose Stimmung, alles ist hell, warm und zugleich kraftvoll durch den sparsamen Einsatz von Rottönen und Orange.
Das Bild, das Gudrun J. Gottstein zu ihren Lieblingsstücken zählt, hat eine eigenartige Intensität. Plötzlich ist man selbst Teil der Szenerie, ist selbst an diesem Strand, wartet bis das Pferd aus dem Bild läuft.

Rüdiger am Eisernen Steg

Rüdiger am Eisernen Steg
Rüdiger am Eisernen Steg

Menschen auf einem Treppenaufgang zu einer Brücke über den Main in Frankfurt werden hier dargestellt. Wichtig ist Gudrun J. Gottstein in diesem für die Künstlerin eher kleinformatigen Bild von 50×70 cm die Treppensituation, das Gedränge, das Aufwärtsschiebende.
Der gut die Hälfte des Bildes ausfüllende Mann links vorne („Rüdiger“) ist grob und ruppig gemalt. Die Künstlerin nutzt hier einen eher trockenen Pinsel, die Leinwand scheint stellenweise durch bzw. ist roh gelassen, die Vorzeichnung mit blauer Kreide ist erkennbar. Trotz des sehr groben Malstils wird seine Ungeduld und Unzufriedenheit mit der Situation, die Treppe im Gedränge hinauf zu müssen, deutlich.
Hauptfigur des Bildes ist jedoch die junge Frau mit grüner Jacke, die die Treppe fast tänzerisch beschwingt hinunter geht. Wieder werden die Blickachsen verschoben, die Motivgewichtung im Bild thematisch umgekehrt und uns bleibt die unbeantwortete Frage, ob wir eher die Ungeduld des hinauf wollenden Rüdigers teilen möchten oder die Beschwingtheit des hinablaufenden Mädchens mitempfinden.